Von Susanne Ferschl
Ein Blick auf die Arbeitskämpfe im Pandemiejahr 2020 zeigt: Die Arbeitgeber legen die Axt an die Fundamente jahrzehntelang praktizierter Tarifpolitik. In der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes wollten sie nicht nur eine Nullrunde gegen die Beschäftigten durchsetzen, sondern forderten überdies umfangreiche Verschlechterungen. Erstmals ging es nicht allein um bloße Verteilungsgerechtigkeit, sondern um die zentrale Frage, wer für die Krisenkosten aufzukommen hat.
Gleiches zeichnete sich in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie ab: Auch hier verlangten die Arbeitgeber, neben langen Laufzeiten, einschneidende Abweichungen von tariflichen Standards wie Weihnachts- und Urlaubsgeld. Hinzu kommt ein umfangreicher Um- und Abbau des Personals nicht nur in der Automobilindustrie. Auch in Modeketten wie H&M, werden Beschäftigte mit Kindern und Schwerbehinderte mit Abfindungen aus dem Unternehmen herausgedrängt und sollen durch flexiblere Mitarbeiter ersetzt werden.
Diese Entwicklung zeigt: Die Arbeitgeber verstärken vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Einbruchs den Druck und verlangen mehr Flexibilität denn je von den Beschäftigten. Unter den Bedingungen der Pandemie spitzt sich der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit zu. Die Antwort der Gewerkschaften darauf ist Gegenwehr, aber die ist in einer Pandemie nicht immer einfach, denn der wirtschaftliche Einbruch und die steigende Arbeitslosigkeit erschweren gewerkschaftliches Handeln. Doch bei aller Schwierigkeit gibt es auch Erfolge: Insbesondere der Abschluss im öffentlichen Dienst konnte sich sehen lassen, auch wenn die lange Laufzeit von fast zweieinhalb Jahren als Punktsieg an die Arbeitgeber ging.
Auf der politischen Ebene konnte die Ausweitung der Kurzarbeit auf 24 Monate eine beschäftigungspolitische Katastrophe zunächst abwenden. Auch dies hatten die Gewerkschaften offensiv vorangetrieben. Das Problem ist allerdings, dass Kurzarbeit viele Menschen vor existenzielle Schwierigkeiten stellt. Deutschland hat den größten Niedriglohnbereich in West- Europa und 60, 70 oder auch 80 Prozent von Wenig bleibt zu wenig. Vor diesem Hintergrund kann die in diversen Branchen tarifliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes gar nicht hoch genug bewertet werden. Schwieriger dagegen ist die Durchsetzung des Mindestkurzarbeitergeldes. DIE LINKE hat das Thema im Bundestag zwar als einzige Fraktion aufgegriffen, aber es fehlt an gesellschaftlichem Druck.
Gerade jetzt in der Pandemie müssten die Gewerkschaften über die betriebliche Arbeit hinaus eine gesamtgesellschaftliche Strategie entwickeln. Dazu müssen sie ihr politisches Mandat offensiv wahrnehmen. Ansatzpunkt dafür könnten die Verteilung der Krisenkosten und der Kampf um Umverteilung sein. Die Stärke der Gewerkschaften ist dabei eng verknüpft mit der Stärke der LINKEN.
Susanne Ferschl ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und Sprecherin der LAG Betrieb & Gewerkschaft Bayern
Dieser Artikel entstammt unserer Zeitung: E-Paper zum 1. Mai 2021