Am Equal Pay Day nur die Lohnlücke anprangern? Die Pandemie trifft Frauen in besonderer Weise. Die Antwort muss so grundsätzlich und radikal sein, wie die Ursachen dafür, schreiben Susanne Ferschl und Ulrike Eifler in einem Beitrag im Freitag, den wir hier auf unserer Seite spiegeln.
Von Susanne Ferschl und Ulrike Eifler
Frauentag und Equal Pay Day liegen in diesem Jahr nah beieinander. Während der Equal Pay Day auf die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen aufmerksam macht, erinnert uns der Frauentag daran, dass Frauen doppelt kämpfen müssen: Als Frauen zusammen mit Frauen gegen Doppelbelastung und sexuelle Diskriminierung. Und als abhängig Beschäftigte im Bündnis mit den Männern, die ebenso wie sie abhängig beschäftigt sind, gegen alles was die Arbeits- und Lebensbedingungen beeinträchtigt: unsichere Jobs, hohe Mieten, Sozial- und Demokratieabbau, Krieg und Flucht.
Sowohl für den Frauentag als auch für den Equal Pay Day diktiert uns in diesem Jahr die Pandemie den Takt. Denn wenn wahr ist, dass Krisen bestehende Ungleichheiten verstärken, dann gilt das auch für die Ungleichheit zwischen Mann und Frau. Und dann reicht business as usual nicht mehr aus. Dann reicht es nicht mehr aus, zum Ritual zu schreiten und die alljährliche Lohnlücke anzuprangern. Die Pandemie trifft Frauen in besonderer Weise und auf unterschiedlichen Ebenen. Unsere Antworten auf diese Entwicklungen müssen so grundsätzlich und radikal wie ihre Ursachen sein.
Erhöhtes Risiko
Frauen machen den überwiegenden Teil der Beschäftigten in den systemrelevanten Berufen aus. Sie arbeiten als Reinigungskräfte, Altenpflegerinnen, Erzieherinnen oder Krankenschwestern. Sie organisieren unter einem erhöhten Infektionsrisiko die Gesellschaft und ermöglichen anderen dadurch Normalität. Es sind eben diese systemrelevanten Berufe, in denen die Tarifbindung gering, die unfreiwillige Teilzeit hoch und niedrige Einkommen weit verbreitet sind. Die ohnehin hohe Arbeitsbelastung verschärft sich unter dem Druck der Pandemie einmal mehr: Überstunden und Arbeitsverdichtung einerseits und direkter und häufiger Kontakt mit Menschen bei gleichzeitigem Mangel an Schutzmaßnahmen andererseits.
Doch Frauen sind nicht nur überrepräsentiert in den systemrelevanten Sektoren, sondern auch in denen, die von Schließungen betroffen sind wie der Einzelhandel, das Gastgewerbe oder die Tourismusbranche. Es ist also kein Zufall, dass der Anstieg der Arbeitslosigkeit bei Frauen mit 16 Prozent höher ist als der der Männern mit zwölf Prozent. Da die Entgeltersatzleistungen im Falle von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit 60 bzw. 67 Prozent des Nettogehaltes betragen, kämpfen also vor allem die Frauen mit erheblichen Einkommenseinbußen. Hinzu kommen die sieben Millionen Minijobberinnen und Minijobber, die zwar ein erhöhtes Risiko haben, arbeitslos zu werden, aber keinen Anspruch auf Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld. In der Frühphase der Pandemie verloren über alle Branchen hinweg fast doppelt so viele Frauen ihren Minijob wie Männer.
Die mit Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder Freistellung einhergehenden Einkommenseinbußen erschweren nicht nur die eigenständige Existenzsicherung, sondern auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das pandemiebedingte Schließen öffentlicher Einrichtungen hat die Pflege von Familienmitgliedern, die Kinderbetreuung, Home Schooling und Haushaltstätigkeiten zurück in die Familie gedrängt. Überwiegend Frauen haben diese unbezahlte Sorgearbeit übernommen, das hat die Doppelbelastung verstärkt, mehr noch: es hat althergebrachte Rollenmuster nochmals manifestiert.
Diese Entwicklung hat aber auch die gesellschaftliche Bedeutung der systemrelevanten Dienstleistungen und der dort Beschäftigten für alle sichtbar gemacht. Am augenfälligsten ist das für die Beschäftigten in der Alten- und Krankenpflege. Aber auch für Kitas und Horte gilt: Hier werden nicht nur Betreuungsaufgaben geleistet, sondern eine frühkindliche Bildung, die für die chancengleiche Entwicklung aller notwendig ist. Und wenn die Pandemie eines deutlich gemacht hat, dann dass professionelle Reinigungskräfte in Krankenhäusern, Schulen und Verwaltungsgebäuden unverzichtbar sind.
Gewerkschaftliche Kämpfe
Wenn die Krise die Ungleichheiten verstärkt, dann gilt das auch für den Kampf gegen diese Ungleichheit. Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst hat gezeigt, dass die Welle der Sympathie mit den systemrelevanten Berufen sich nicht automatisch in strukturellen und nachhaltigen Verbesserungen für die Beschäftigten niederschlägt oder zu fairen Arbeitsbedingungen und höheren Einkommen führt. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Im öffentlichen Dienst stehen sich gewählte Politikerinnen und Politiker als Arbeitgeber und die abhängig Beschäftigten in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Verwaltungen als Arbeitnehmer gegenüber. Es ist eine Frage politischer Prioritätensetzung, über eine Besteuerung hoher Vermögen die anfallenden Krisenkosten zu finanzieren und den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes das tarifliche Entgelt zu erhöhen. Dass die Bundesregierung darauf verzichtete und den Beschäftigten über die geforderte Abgruppierung einzelner Arbeitsvorgänge sogar noch Geld wegnehmen wollte, zeigt, dass der neoliberale Kurs der Umverteilung auf dem Rücken der Beschäftigten gehalten werden soll.
Keine Rede davon, die Entgeltlücke zu schließen. Keine Rede davon, dass Beschäftigungsverhältnisse ab der ersten Arbeitsstunde sozial abgesichert sein müssen. Und keine Rede von Arbeitszeitmodellen, die es Frauen und Männern gleichermaßen ermöglichen könnten, Familienarbeit zu übernehmen und erwerbstätig zu sein. Dabei wären gerade diese Debatten jetzt notwendig. Denn die Pandemie hat auch gezeigt, dass nicht alle Frauen gleichermaßen mit der Doppelbelastung von Familie und Job kämpfen. Die alleinerziehende Altenpflegerin, die morgens aus dem Nachdienst kommt und ihre Kinder im Homeschooling für Algebra und Photosynthese begeistern soll, ist viel stärker auf sich zurückgeworfen als die Managerin, der nicht nur die Nachtschicht erspart bleibt, sondern die sich gleichzeitig ein Kindermädchen und einen Nachhilfelehrer leisten kann. Frei nach Rousseau ließe sich sagen: Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Schulschließung, die unterdrückt und ein gesellschaftliches Betreuungs- und Bildungsangebot, das befreit.
Emanzipation und Gleichberechtigung
Auf der Tagesordnung steht also auch aus frauenpolitischer Sicht nicht etwa eine Wiederherstellung des Status Quo, sondern vielmehr eine Gesellschaftsvision, die Einkommensgerechtigkeit, gesellschaftliche Bedarfe und soziale Teilhabe ins Zentrum politischer Bemühungen rückt. Lange vor der Pandemie lag der bundesweite Investitionsstau für Wohnungswirtschaft, Gesundheitsinfrastruktur, Kinderbetreuung, Sportstätten oder Bäder im dreistelligen Milliardenbereich. Durch die Pandemie stellt sich der wohnortnahe, bedarfsgerechte und hochwertige Ausbau dieser Bereiche dringlicher denn je. Der Kampf darum muss also als Umverteilungsauseinandersetzung geführt werden.
Aus diesem Grund betrachtete Clara Zetkin, die Vorkämpferin der sozialistischen Frauenbewegung, die Unterdrückung der Frau als einen Teil der sozialen Frage. Denn Frau sein bedeutet in verschiedenen Klassen Unterschiedliches. Als aktive Gewerkschafterinnen sagen wir deshalb: Emanzipation ist mehr als Gleichberechtigung. Sie ist vielmehr die Mobilisierung für einen gesellschaftlichen Prozess, der den bestehenden Defiziten eine Gesellschaftsvision entgegensetzt, die die soziale Teilhabe in den Mittelpunkt stellt. Ziel muss eine Gesellschaft sein, die über Profite, Konkurrenz und Individualisierung hinausweist. Unter den Bedingungen der Pandemie stellen sich deshalb die alten Fragen der sozialistischen Frauenbewegung in neuer Form. Ihre Ziele sind richtiger denn je.
Susanne Ferschl ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Ulrike Eifler ist Bundessprecherin der AG Betrieb & Gewerkschaft