Am 13. April veranstaltet die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Salzgitter unter dem Titel „Stahl ist Zukunft“ eine große Stahlkonferenz. Ziel ist es, mit den Beschäftigten, Betriebsräten, Gewerkschaften und weiteren Kennern der Branche ins Gespräch zu kommen. Neben den Betriebsräten aus der Region und vielen spannenden internationalen Gästen werden die Bremer Wirtschaftssenatorin Kristina Voigt, das IG Metall Vorstandsmitglied der IG Metall Hans-Jürgen Urban, der Ökonom Steffen Lehndorff, der Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung Heinz Bierbaum und der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Viktor Perli an der Konferenz teilnehmen und miteinander ins Gespräch kommen. Wir haben vorab mit Heinz Bierbaum gesprochen und nach den Herausforderungen der Stahlindustrie gefragt.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Heinz, das Brüsseler Büro der RLS organisiert die Konferenz „Stahl ist Zukunft“, die am 13. April in Salzgitter stattfinden wird. Warum diese Konferenz und an wen richtet sie sich?
Heinz Bierbaum: Gegenwärtig befindet sich die Stahlindustrie im Umbruch. Ihre Zukunft hängt davon ab, ob die Umstellung auf „grünen Stahl“ gelingt. In der Konferenz sollen eine aktuelle Bestandsaufnahme der Situation in der Stahlindustrie vorgenommen und gleichzeitig Probleme, Herausforderungen, aber eben auch Perspektiven aufgezeigt werden. Angesprochen werden damit vor allem Betriebsräte, Gewerkschaftsvertreter, aber auch Politiker und die Öffentlichkeit.
Du hast selber über viele Jahre für die IG Metall in verschiedenen Aufsichtsräten der saarländischen Stahlindustrie gesessen und giltst als ein profunder Kenner der Thematik. Vor welchen Herausforderungen steht die Stahlindustrie?
Die entscheidende Herausforderung ist die Umstellung der Produktionsweise, so dass es gelingen kann, „grünen Stahl“ zu produzieren. Dazu ist eine wasserstoffbasierte Technologie erforderlich. Allerdings muss der Wasserstoff mit erneuerbaren und nicht mit fossilen Energien hergestellt werden. Dies erfordert umfangreiche Investitionen, die die Unternehmen alleine nicht stemmen können. Hier ist staatliche Hilfe nötig. Eine weitere Herausforderung ist aber auch die internationale Konkurrenz von billigem Stahl aus Asien, der dort nicht unter nachhaltigen Bedingungen hergestellt wird. Dies erfordert auf der europäischen Ebene entsprechende Regelungen, um einen Dumping-Wettbewerb zu verhindern.
Nun gibt es ja in Deutschland verschiedene Stahlstandorte, die den Grundstoff Stahl für unterschiedliche Wertschöpfungsketten herstellen. Kannst du uns einen groben Überblick geben, wofür der Stahl der einzelnen deutschen Stahlstandorte hergestellt wird?
In der Tat gibt es ganz unterschiedliche Stahlarten. So wird zum Beispiel im Saarland bei Dillinger Grobblech hergestellt, das unter anderem bei Windkraftanlagen zum Einsatz kommt. Bei Saarstahl dagegen geht es vor allem um die Herstellung von Draht, der besonders in der Automobilindustrie für die Reifenherstellung gebraucht wird: Stahldrähte verleihen dem Reifen mehr Stabilität und sorgen für einen geringeren Verschleiß. Der Einsatzbereich von Stahl in seinen verschiedenen Güten ist also sehr breit.
Stahl ist auch ein unverzichtbarer Grundstoff in der Rüstungsindustrie. Verschiebt sich unter dem Einfluss der Aufrüstungsdebatten einerseits und des erhöhten Transformationsdrucks deutscher Industrieunternehmen andererseits der Schwerpunkt industrieller Produktion auf Rüstungsgüter?
Stahl kann natürlich sowohl für zivile als auch für Rüstungsgüter verwendet werden. Gegenwärtig besteht die Gefahr, dass die Rüstungsindustrie, die in hohem Maße Stahl nutzt, stark unterstützt und gefördert wird. Das kreditfinanzierte „Sondervermögen“ und die Aufrüstungsdebatten gehen in diese Richtung. Dem muss politisch entgegengewirkt werden.
Und wie sinnvoll ist eine nachhaltige Stahlproduktion, wenn der Stahl in die Wertschöpfungsketten der Rüstungsindustrie eingebunden wird?
Gerade Stahl und dabei der nachhaltig produzierte Stahl ist für die ökologische Transformation unersetzlich. Diese Transformation soll unser Leben nachhaltiger machen und der Klimakrise entgegentreten. Deshalb muss die Frage diskutiert werden, wo der Stahl zum Einsatz kommt, was gesellschaftlich nützlich ist und was nicht. „Grünen Stahl“ in Kampfpanzern zu verbauen, der dann als Stahlschrott zwischen ausbrannten Ruinen und auf Schlachtfeldern herumliegt, ist in der Tat nicht besonders nachhaltig.
Zeigt nicht gerade auch das Positionspapier der IG Metall gemeinsam mit der Rüstungslobby und dem Wirtschaftsforum der SPD, dass die Gewerkschaften sehr viel stärker die Frage nach gesellschaftlichen Bedarfen und gesellschaftlichem Nutzen in den Transformationsdiskurs tragen müssen?
Dieses gemeinsame Positionspapier ist aus meiner gewerkschaftlichen Sichtweise skandalös und widerspricht den Friedenstraditionen in der IG Metall. Ich beziehe mich auch auf die Diskussion um Rüstungskonversion, die in der IG Metall geführt wurde und heute höchst aktuell ist. Natürlich gab es dabei auch immer ein Spannungsverhältnis mit den Betriebsräten in der Rüstungsindustrie. Der gesellschaftliche Bedarf und damit die Frage, was, wie und wo produziert werden soll, muss wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.
Wäre das nicht im Kern die Wiederbelebung der Debatte über Wirtschaftsdemokratie? Viele Transformationsprozesse leiden darunter, dass sie über die Köpfe der Beschäftigten geführt werden und nicht mit ihnen. So könnten die Gewerkschaften stärker zum Treiber der Transformation werden.
Die Einbeziehung der Gewerkschaften und der Beschäftigten in die Transformationsprozesse ist aus meiner Sicht zentral. Die Beschäftigten selbst müssen zum Akteur der Transformation werden. Dabei müssen sie aber auch Einfluss auf die wirtschaftlichen Entscheidungen haben. Dazu reichen jedoch selbst die in der Stahlindustrie relativ großen Mitbestimmungsmöglichkeiten, die sich aus der Montanmitbestimmung ergeben, nicht aus. Wir brauchen eine vertiefte Diskussion über Wirtschaftsdemokratie. Dies betrifft nicht nur Betrieb und Unternehmen, sondern auch die Regionen, in denen sich die Stahlunternehmen befinden. Es geht um die demokratische Gestaltung von Industrie- sowie regionaler Strukturpolitik. In diesem Zusammenhang ist das Konzept der Transformationsräte von Interesse.
Lieber Heinz, vielen Dank für das Gespräch!
Konferenz: Stahl ist Zukunft | Der Stahl der Zukunft ist grüner Stahl. Für die Erreichung der Klimaneutralität muss die Stahlindustrie fast 70 Prozent ihrer Produktionsanlagen ersetzen. Wie das gelingen kann, wie die Gewerkschaften zum Treiber der Transformation werden können und welche Rolle dabei die Mitbestimmung spielt, will die Rosa-Luxemburg-Stiftung am 13. April in Salzgitter diskutieren. Spannendes Programm, hochkarätige Gäste und wer bereits am Vortag anreist, kann sich auf eine Tour übers Werksgelände freuen.
Interessiert? Programm und Anmeldung!